Die Globalisierung setzt Führungskräfte verschiedenen ethischen Systemen aus. Es ist nahezu unmöglich, jede einzelne Kultur und die damit verbundenen ethischen Systeme in ihrer Gesamtheit tiefgreifend zu verstehen. Herkömmliche – und mittlerweile eher veraltete – Ansätze zur Erfassung des “doing business in” anderen Ländern konzentrierten sich oft auf die Interpretation der populären dimensionsbasierten Kulturmodelle wie Individualismus, Kollektivismus, Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung usw. Leider sind ad hoc basierte Interpretationen auf Grundlage dieser Dimensionen zwar hilfreich als Ausgangspunkt, aber vage und tendieren dazu, zu stereotypisieren, da Kultur kein statisches und eindimensionales Konstrukt ist. Kultur ist äußerst komplex und dynamisch. Es kann schwierig sein, über eine gesamte Kultur zu verallgemeinern, und Verallgemeinerungen helfen oft nicht viel für eine konkrete Geschäftssituation. Mit zunehmender Vielfalt und Pluralität der Arbeitswelt und der Gesellschaft gewinnt die Mitmenschlichkeit über Kulturen hinweg an Bedeutung. Sie kann als eine Meta-Kompetenz betrachtet werden, die das Wissen aus dimensionsbasierten Kulturmodellen ergänzt und wesentlich für die Entwicklung von Fähigkeiten ist, die sowohl internationale Manager als auch Führungskräfte benötigen, um effektiv und effizient in einem multikulturellen Arbeitsumfeld zu agieren.
“Compassion, grob übersetzt als pro-aktive Mitmenschlichkeit, bezieht sich nicht unbedingt auf Verhaltensnormen, die durch Sozialisation erlernt wurden, sondern konzentriert sich im Wesentlichen auf unsere gemeinsame Menschlichkeit, über kulturelle Barrieren hinweg.”
Compassion, grob übersetzt als pro-aktive Mitmenschlichkeit, bezieht sich nicht unbedingt auf Verhaltensnormen, die durch Sozialisation erlernt wurden, sondern konzentriert sich im Wesentlichen auf unsere gemeinsame Menschlichkeit, indem sie kulturelle Barrieren überwindet. Compassion liegt im Kern dessen, was uns menschlich macht. Es beinhaltet das “Mitfühlen” und den Wunsch, das Leiden anderer zu lindern, indem man helfen möchte oder zumindest herausfindet, was man tun kann, um zu helfen. Dies kann ein sehr ehrenhafter und effektiver Führungsansatz sein. Leiden kann persönliche Tragödien, Entäuschungen oder Belastungen am Arbeitsplatz umfassen. In multinationalen Unternehmen (MNCs) gelten interkulturelle Spannungen und Konflikte als unvermeidlich und stellen einen typischen Stressfaktor für die globale Belegschaft dar. Gegenseitigkeit spielt eine bedeutende Rolle bei einem auf compassion basierenden Führungsansatz. Das Mitfühlen für andere, der Antrieb und die Handlung, jemandem zu helfen, Altruismus – dies sind sehr positive Eigenschaften und sollten nicht einseitig, sondern multilateral sein. Einseitige Mitmenschlichkeit kann kaum überleben, wenn sie zwar angewendet, aber nicht erwidert wird. In einem solchen Fall würde sich jemand, der mitfühlend handelt, bald ausgebeutet fühlen, das Risiko eingehen, ausgenutzt zu werden, und als naiv angesehen werden. Daher sollte Mitmenschlichkeit zu einem Ideal werden, das in die Unternehmenskultur und die Geschäftssysteme insgesamt eingebettet ist.
Verhalten am Arbeitsplatz, das Altruismus, Freundlichkeit, Verständnis und Geduld widerspiegelt, sind heute geschätzte Ideale. Die Entwicklung von Mitmenschlichkeitskompetenzen bei Führungskräften und der Belegschaft durch eine Schärfung unseres Verständnisses für unsere gemeinsame Menschlichkeit in Beziehungen kann viele Herausforderungen lösen, denen sich globale Unternehmen heute in Bereichen wie Motivation, Engagement, Vielfalt, Inklusion, u.a. stellen. Das Verständnis der Barrieren für Mitmenschlichkeit und die Entwicklung von Maßnahmen zur Förderung von Mitmenschlichkeit ueber kutlurelle Barrieren hinweg, werden zu Schlüsselkompetenzen für erfolgreiche globale Geschäftstätigkeiten. Führungskräfte sollten zu den Ersten gehören, die die Ideale interkultureller Mitmenschlichkeit annehmen and leben. Diese Kompetenzen können durch Schulungen und Coaching erlernt und verbessert werden, da die meisten Menschen zum Glück bereits über ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen verfügen.
Weiterführende Literatur:
Jakobsen, M., Worm, V., & Horak, S. (2023). Compassion in the international business studies–prospects for future research. Critical Perspectives on International Business, in press, doi: https://doi.org/10.1108/cpoib-01-2021-0012
Horak, S.; Worm, V., & Jakobsen, M. (2023). Cross-cultural compassion. In Audra I. Mockaitis and Lena Zander (Eds.), Elgar Encyclopedia of Cross-Cultural Management, Edward Elgar, Cheltenham. Forthcoming.